Am Sonntag (22.02) war es genau ein halbes Jahr her, dass ich hier in Ecuador meinen Freiwilligendienst begonnen habe - unglaublich!
Ich blicke zurück auf ein wundervolles, abwechslungsreiches und spannendes halbes Jahr, in dem ich viel gelernt, viel neues gesehen und neue Erfahrungen gemacht habe.
Ich habe von ecuadorianischen Essgewohnheiten, Feiern bis hin zu den typischen Krankheiten alles ausprobiert und blicke mit Freude und ein Wenig Wehmut auf die noch verbleibende zweite Hälfte des Jahres.
Nächste Woche steht dann auch das Halbzeits-Seminar in Ibarra, in der Nähe der Hauptstadt Quito an, von dem ich euch dann demnächst mehr berichten kann.
Da anlässlich meines "halbjährlichen Jubiläums" hier auch wieder ein Bericht an meine Organisation bezev fällig war, gibt es nun für die Leseratten und Interessierten unter euch ein paar Details und neuen Lesestoff:
26. Februar 2015
Kathrin
Speh
Zweiter Quartalsbericht
“Was?! Halbzeitsbericht? Jetzt
schon?!”, das waren so ungefähr die Gedanken, die sich in meinem geschockten
Gehirn geregt haben, als mir Laura - meine Mitfreiwillige - mitteilte, dass der
Bericht zur Halbzeit unseres Freiwilligendienstes jetzt dann fällig sei. Es ist
mehr als unglaublich, dass jetzt schon die Hälfte vorbei sein soll! Die Zeit
ist im Nu verflogen und der Gedanke, dass nur noch einmal so ein halbes Jährchen
fehlt, bis wir schon wieder im Flieger nach Hause sitzen, ist ein Bisschen (okay,
wem versuche ich hier etwas vorzumachen: ziemlich!) unheimlich.
Auf der einen Seite ist dieses erste
halbe Jahr unglaublich schnell vergangen und es kommt mir vor, als sei ich
gestern erst in München in den Flieger gestiegen – gespannt, aufgeregt und
neugierig auf das, was da kommt.
Andererseits ist aber in der
Zwischenzeit so viel passiert, ich habe so viel erlebt, gelernt und genossen –
das schürt meine Vorfreude auf die zweite Halbzeit umso mehr!
Mittlerweile ist nicht mehr alles neu (natürlich
immer noch vieles, aber eben nicht mehr alles) – das kleine Andenstädtchen,
dass jeden Morgen mit der genialen Aussicht auf die Berge, in die es
eingebettet ist, auf mich wartet, fasziniert mich zwar immer noch jeden Morgen,
aber ich wohne eben mittlerweile hier. Es ist meine Heimat geworden, wenigstens
bis zu einem gewissen Grad. Ich werde nach dem Weg gefragt (und kann sogar eine
hilfreiche Antwort geben!), unternehme Dinge mit Freunden und als mir vor kurzem
einmal gesagt wurde, dass ich mir den Cuencano-Dialekt angeeignet hätte, musste
ich wirklich lachen. Es fühlt sich einfach nicht mehr fremd an.
Nach einem halben Jahr taucht man
tiefer in die Kultur ein, die einen umgibt. Man lernt die kleinen Nuancen
kennen, die winzigen Unterschiede, die oft nicht einmal in Worte gefasst werden
können, sondern die man einfach unterbewusst wahrnimmt und sich intuitiv
anpasst. Smalltalk, Humor, bestimmte (religiöse) Ansichten,… die kleinen Dinge
des alltäglichen Zusammenlebens werden langsam verständlich, verstanden – und
reproduziert.
Das ist nämlich die andere Seite eines
so intensiven Eintauchens in eine fremde Kultur – man selbst verändert sich mit.
Seit dem Tag, an dem ich in Quito aus dem Flieger gestiegen bin, als ich hier
zu Arbeiten begonnen habe, während ich mich in meine Gastfamilie eingelebt
habe, beim Kennenlernen und Freundschaften knüpfen mit Einheimischen, im Umgang
mit den Kindern, in zahlreichen Gesprächen mit den unterschiedlichsten Menschen
hier – Tag für Tag kann ich mich quasi dabei beobachten, wie ich mich
verändere. Einige Veränderungen sind intuitive Anpassungen aufgrund von
Nachahmung: Bestimmte Besonderheiten in der Gestik, Mimik und Ausdrucksweise.
Andere Veränderungen kommen schleichend und bergen ein ungeheures Potential.
Aus seiner eigenen Kultur auszutreten und in eine andere einzutauchen bietet
unbegrenzte Möglichkeiten – wenn man sie denn zu nutzen weiß. Es erfordert
manchmal Einiges an Willenskraft und Zurückhaltung, sich Dinge anzuhören oder
anzusehen, die beim ersten Eindruck, vor dem Hintergrund der eigenen Kultur,
einfach zu absurd erscheinen. Aber meine Neugier ist größer und das hilft mir, eine
ehrliche Offenheit beizubehalten, die es den neuen Eindrücken und Ansichten
erlaubt, meine Gedanken zu durchwirken – und zu verändern. Das geht nicht
Schlag auf Schlag, viel mehr ist es ein sanfter, leiser Prozess, der sich wie
mit Samthandschuhen an dich herantastet und langsam, Stück für Stück deinen
Blick öffnet, deinen Gedankenradius weitet und dich spüren lässt, dass da noch
viel mehr ist als du immer dachtest. Das ist es, denke ich, was einem nicht in
einem 2-Wochen-Pauschalurlaub passieren kann. Für diese Erfahrung muss man tiefer
eintauchen, sich wirklich auf die Kultur einlassen, mit den Menschen leben,
arbeiten und Zeit verbringen – und das bietet in dieser Form nur ein
Freiwilligendienst. Ich muss gestehen, ich hatte schon im Vorfeld nicht allzu viele
Zweifel, aber hier bin ich mir mit jedem Tag, der verstreicht, sicherer, dass
der weltwärts-Freiwilligendienst das absolut richtige für mich ist.
Aber nicht nur meiner persönlichen
Entwicklung tut dieses Jahr gut – auch für meinen zukünftigen Arbeits- und
Studienweg wird dies hier bestimmt noch sehr hilfreich sein. Es ist sehr
interessant, vor dem Studienbeginn erstmal etwas Arbeitserfahrung zu sammeln –
und auch hier spielt wieder der Zeitraum eine große Rolle, denn der Unterschied
zwischen ein paar Wochen und einem ganzen Jahr Arbeitsalltag (und das in
derselben Institution) ist gewaltig. Mir wurde dadurch, dass ich mit einer
Erzieherin der Fundación zusammenlebe, schon in der ersten Zeit bereits viel über
die Hintergründe und Werdegänge einiger Familien erzählt - aber lange genug hier zu sein, um diese Dinge
selbst miterleben zu können, ist etwas ganz anderes. Wir werden hin und wieder
auf Hausbesuche mitgenommen, lernen die Familie und die Wohnsituation der
Kinder kennen, bekommen mit, wie Familien, die nicht mehr so viel Hilfe benötigen,
sich langsam aus der Fundación verabschieden, wie neue Kinder eintreten und
integriert werden, wie Streitigkeiten entstehen und gelöst werden,…
In unseren sechs Monaten hier durften wir
nun auch schon den einen oder anderen Engpass in der Fundación miterleben. Hier
seien zum Beispiel die Wochen zu nennen, in dem ein Erzieher gefehlt hat und
Laura und ich die morgendliche Gruppe der Jugendlichen und die Siebtklässler am
Nachmittag allein betreut haben. Die Suche nach einem neuen Erzieher hat sich
ziemlich schwierig gestaltet und so ist der vorherige Erzieher, Marco Carrión
nun für den Zeitraum von drei Monaten (der Abwesenheit der Direktorin)
aushilfsweise zurückgekehrt – allerdings ist noch immer unklar, wer ihn nach
diesem Zeitraum ersetzen wird. Die Direktorin Betty Valarezo ist seit Ende
Januar nicht mehr in der Fundación, da sie zu ihrer krebskarnken Schwester nach
Frankreich gereist ist – sie wird in drei Monaten wiederkommen. Zwar ist das
Fehlen der Direktorin für die Kinder nicht ganz so sehr spürbar wie das Fehlen
eines Erziehers, aber hinter den Kulissen bedeutet das eben mehr Arbeit und
Stress für das ganze Fundacións-Team. Und dazu gehören mittlerweile auch wir
Freiwilligen. Wir haben immer mal wieder auch Freiwillige von anderen
Organisationen da, die meisten aus den USA, die für kürzere Zeiträume in der
Fundación mithelfen, aber auch hier ist der gravierende Unterschied der Zeit zu
spüren – vom Kontakt zu den Kindern bis hin zur Sprache ist es einfach eine
ganz andere Sache, ob man nur kurze Zeit in der Fundación ist, oder einen
ganzen Jahreszyklus hier miterlebt. Laura und ich gehören mittlerweile zum
eingespielten Team der Fundación, uns werden andere Aufgaben übertragen und es
wird Eigeninitiative erwartet – so bringe ich zum Beispiel seit einiger Zeit fünf
unserer Kinder nachmittags zu einer sozialpädagogischen Therapie, organisiere
den Transport der Kinder an den kulturellen Freitagen und tätige hin und wieder
Telefongespräche für die Fundación (hier wird vor allem von meinen
Englischkenntnissen Gebrauch gemacht, da die Fundación auch mit einigen
US-amerikanischen Organisationen zusammenarbeitet). Alles in Allem ist es eine
schöne Arbeit, die mir auch nach einem halben Jahr noch sehr gut gefällt. Besonders gerne schaue ich auch auf die Highlights dieser
letzten Monate zurück, wie zum Beispiel die große Weihnachtsfeier in Andacocha
mit Kindern, Eltern und Verwandten oder dem tagelangen Feiern von Karneval in
der Fundación, bei dem die Kinder tagtäglich einen Heidenspaß am Nassmachen von
anderen Kindern, den Erziehern, den Freiwilligen und generell der ganzen
Fundación hatten.
Auch für die zweite Hälfte stehen
sowohl privat als auch geschäftlich einige Highlights an: In der Fundación steht
noch jeweils ein Zeltlager für die Kinder und eins für die Jugendlichen am Ende
des Jahres an und außerdem werden mich meine Eltern am Ende meines
Freiwilligendienstes für eine gemeinsame Rundreise besuchen.
Diesbezüglich heißt es, jetzt schon
die Ferien mehr oder weniger einzuteilen, da wir schließlich nur zwei wertvolle
Wochen haben – auch eine sehr interessante Erfahrung, nach 12 Jahren Schulalltag
und –ferien.
Auch steht für die zweite Hälfte die
Reise meiner Gastfamilie nach USA an, der schon lange entgegengefiebert wird,
da die Tochter meiner Gastmutter dort studiert und diese Reise ein Wiedersehen
nach langer Zeit ermöglicht. Auch hier wird deutlich, wie mit der Zeit das
Vertrauen wächst und mir auch innerhalb der Familie mehr Verantwortung übertragen
wird – immerhin wurde ich bereits zum Haussitter für diesen Monat ernannt ;)
Als unmittelbar nächste Besonderheit
steht allerdings erst einmal unser Zwischenseminar in Ibarra an, wohin wir nächstes
Wochenende reisen werden. Ich bin schon sehr gespannt darauf, die anderen
Freiwilligen kennen zu lernen, mehr über andere Projekte zu erfahren und
bereits ein wenig über unsere Zeit und Erfahrungen hier zu reflektieren. Ich
bin sehr neugierig darauf, ob es anderen Freiwilligen ähnlich geht wie uns hier
in Cuenca und in der Fudación el Arenal, denn ich kann mir gut vorstellen, dass
dies stark vom Projekt, dem Einsatzort und der Gastfamilie abhängt.
Was dies angeht, so habe ich das Gefühl, in diesen
Aspekten wirklich sehr viel Glück gehabt zu haben und so schaue ich mit einem
lachenden (es bleibt immer noch eine zweite Hälfte) und einem weinenden Auge
(das Ende naht) der zweiten Hälfte meines Freiwilligendienstes entgegen.